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E
s kommt selten vor, daß man nach 20 Jahren der Beobachtung vom Schaffen eines Künstlers noch überrascht sein kann. Insbesondere dann, wenn es sich um ein einziges Thema handelt: die Landschaft. Zwischen 1977, dem Entstehen der ersten Arbeiten Wolfgang Sinwels, und 1997 sind zwanzig Jahre verflossen. Zwanzig Jahre, die dem Erforschen der Landschaft in all ihren Aspekten gewidmet waren. Eine Landschaft beständig überflogen, quasi mit schwebendem Bewußtsein gestreift. Der Wandel in dieser 20-jährigen Arbeit resümiert in einem Begriff: Objetkivität. Der Blick des Künstlers hat sich Objektivität erarbeitet. Da, wo das Bild vormals von Nostalgie, von starker Trauer, manchmal auch von Todesahnung geprägt war, ist es heute in größerem Maß beschreibend und konkret. Das Objekt ist nach wie vor dasselbe: Irdisches Land, entblösst und verklärt.

Über lange Zeit, bis 1985, malte Sinwel Landschaften, von denen man behaupten konnte, sie entstammten der Vergangenheit. Auch wenn bis zu diesem Zeitpunkt der Begriff einer anderen Welt seiner Arbeit verhaftet war, war man doch versucht, sie für unsere eigene Welt zu halten, versunken in ihrer langen Vergangenheit. Ab diesem Zeitpunkt wird der Künstler konkreter, emotionsloser, technischer. In dieser Entwicklungsstufe erhält sein Oeuvre eine musikalische, symphonische Struktur: keine gewaltsamen Brüche, aber ein feines Netz sensisbler Modulationen. Diese könnten ebenso von einem langsamen, fast endlos dauernden Landevorgang herrühren, vom Erreichen einer prächtigen Welt, begriffen und dargestellt als fortschreitende Aufklärung über das Sein, als ein Werk, das im Rhytmus eines Planeten tanzt, als Umarmung, als innige Umschlingung desselben.

So wie das Raumschiff im Film Odyssee 2001 von den Klängen des Donauwalzers begleitet wird, scheint jede einzelne Arbeit Sinwels von Musik erfüllt zu sein. Von einer Musik der Sterne, wäre man versucht zu sagen, hätte man nicht den menschlichen Blick auf die eigene Welt vor Augen. Und dieser Blick beinhaltet alles. Der Alltag aber, mit dem wir ständig konfrontiert sind, ertränkt beste Gegenmaßnahmen in Zweifel und Pessimismus. Und man richtet den Blick vergeblich gegen den vielversprechenden, schwach bedeckten Horizont. Dies ist die Welt, die uns Sinwel vor Augen führt, eine unberührte Welt, die, endlich beruhigt, ihre gütige Führung gefunden hat. Sie löst in uns Ruhe aus, Sanftheit und eine Feierlichkeit, die Einen beim Ertönen des Te Deums in einer Kathedrale erfasst.

So also heilt der Blick Sinwels die Welt; er stellt sie in ihrer ursprünglichen Ganzheit wieder her. Zu einem Zeitpunkt, da auf der Erde alles blockiert und ohne Perspektive erscheint, beschreibt er eine Welt frei und luftig. Eine jüngere Arbeit, Wolkenspiel - 1995 datiert - zeigt in bemerkenswerter Art die Tragweite eines solchen Raumes. A priori handelt es sich um nichts anderes als einen Blick, der aus einem Flugzeugfenster auf ein Wolkenmeer gerichtet ist. Aber dem Künstler gelingt es, der Arbeit einen unaussprechlichen Anflug der Enthüllung zu verleihen, den Vorhang vor dem ersten Morgen einer neuen Welt zu lüften. Die Flugbewegung, die Empfindung, sich zwischen zwei Dimensionen zu befinden, den Boden wahrzunehmen und gleichzeitig in der Schwerelosigkeit der Wolken zu schweben, schaffen einen unbestimmbaren Eindruck, lassen einen skizzierten Schmerz, der sich bereits zu lösen beginnt, verspüren. Dieser Augenblick unendlicher Feinfühligkeit wird mit sparsamsten Mitteln beschrieben. Zwar stellt dieses Gemälde keine technisch außergewöhnliche Leistung dar, das Spiel des Pinsels ist einfach und direkt. Aber diese Einfachheit verursacht eine erstaunliche Wirkung, denn sie führt zur Empfindung dessen, was keine realistische Darstellung zu vermitteln vermag: Der feine Klang, der die Herzen Liebender im Moment des ersten Kusses erfaßt. Unablässig handelt es sich um dieselbe emotionale Empfindung, mit keiner anderen vergleichbar: Das Erfahren von Liebe. Das Bild bleibt bedeckt, rätselhaft. Genau dies macht seinen berührenden Charakter aus. Wolken scheinen von wunderlichem Licht aus Rosa und Violett angezogen zu werden; die Erde erscheint so nahe. In der Ferne läßt leichte Bewegung Anhöhen, ja Gipfel erscheinen. Man vermutet Gebirge. In welcher Höhe, welcher Geschwindigkeit, in welcher Entfernung zu diesen Gipfeln befinden wir uns? Der Künstler verharrt willentlich im Unbestimmten, hält den Zweifel über die Struktur der Landschaft aufrecht. Alles ist unsicher, zwischen Zukunft und längst Vergangenem angesiedelt, unserer Gegenwart fremd, so wie die natur dieses Planeten unsicher ist - möglicherweise außerirdisch - aber seltsamerweise vertraut. Bilder dieser Art sind bei Sinwel selten. Innerhalb von 20 Jahren weniger als ein Dutzend. Sie sind die wahren Marksteine der Arbeit, quasi Markierungen auf großen Entfernungen, beinahe interstellar. So funktioniert dieses Oeuvre als Schlüssel, als Appell und Spiegel, der unseren Einsatz zeigt, unsere Konditionen, vielleicht unsere nahe Zukunft.
 
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